Während der AfD-Theoretiker Kubitschek einen geistigen Bürgerkrieg um das deutsche Geschichtsbild ausruft und den von außen installierten „Schuldkomplex”, der in der ehemaligen DDR durch die sowjetischen Vorgaben und in der BRD durch die „Remigranten” der Frankfurter Schule und deren installierte „Kapitulationswissenschaften”, hier vor allem die Sozialwissenschaften, in die Köpfe der Deutschen gepflanzt worden sei, endgültig auslöschen will, würdigten am Nachmittag viele Menschen vor dem Haus Onkel-Bräsig-Str. 111 einen jungen Mann, den die Geschichtsrevisionisten aus dem Gedächtnis der Deutschen vertreiben wollen.
Die Ehrung erhielt auch durch die Musikstücke der Gruppe Querbeet, die die Würdigung mitgestaltete, einen angemessenen musikalischen Rahmen.
Mit der Verlegung eines Stolpersteins für Werner Steinbrinck wurde an einen jungen Antifaschisten erinnert, der seit seinem 16. Lebensjahr gegen die Nazis in Berlin gekämpft hat und im Alter von 25 Jahren im August 1942 zusammen mit neuen Gefährtinnen und Gefährten in Plötzensee mit dem Fallbeil ermordet worden ist.
Aus Protest gegen die rassistische Propagandaausstellung „Das Sowjetparadies” im Berliner Lustgarten hatten sie einen Brandanschlag auf die Schau verübt.
Mit dieser Aktion wollten sie ein Fanal gegen den Krieg und für den Sturz des Naziregimes setzen und die Bevölkerung zum Widerstand aufrufen.
Der Versuch scheiterte. Die Brandsätze zündeten nicht, die Schäden waren kaum der Rede wert und eine verhängte Nachrichtensperre ließ keine Information über den Vorgang in die Öffentlichkeit gelangen.
Doch auch bei einem Erfolg muss bezweifelt werden, ob die gegen den Krieg und die Naziherrschaft gerichtete Stimmung in der Bevölkerung so stark war, um sich gegen den herrschenden Faschismus zu erheben.
Himmler ließ als Reaktion auf den Anschlag, an dem auch jüdische Antifaschisten beteiligt waren, im KZ Sachsenhausen 251 jüdische Häftlinge als Racheaktion erschießen.
Auch andere an der Aktion nicht Beteiligte aus verschiedenen Widerstandszirkeln fielen der Sonderkommission der Gestapo und der Nazijustiz zum Opfer.
Die Frage, warum ein junger Mann, der neun Jahre lang in verschiedenen Funktionen, aber immer in der ersten Reihe gegen die Nazi-Herrschaft gekämpft hat, sich zu einer derartigen Aktion hat hinreißen lassen, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit beantworten.
Eine falsche Heroisierung seiner Person, die die Folgen der Tat außer Acht lässt, ist fehl am Platz.
Aber lässt sich die Haltung von Werner Steinbrinck und Genossinnen und Genossen nur aus der rationalen, leidenschaftslosen Abwägung von Einsatz und Erfolg bemessen?
Sind es nicht auch die Wünsche und Hoffnungen, der Wille, aus einer nahezu aussichtlosen Lage eine Wende zum Besseren zu erzwingen, die ein Handeln legitimieren?
Wer will einen Stab über diejenigen brechen, die ihr Leben eingesetzt haben im Kampf um Recht und Freiheit der Ausgegrenzten und Unterdrückten, aber auch um die Wahrung ihrer eigenen Persönlichkeit?
Eine eindeutige Beurteilung der Tat erscheint aus heutiger antifaschistischer Sicht kaum möglich, will man nicht ahistorisch auf die Handelnden herabblicken.
Werner Steinbrinck handelte in einer Grenzsituation, für die es keine Vorbilder als Orientierungsmaßstäbe gab.
Richtig und falsch, verantwortlich und unverantwortlich verschwimmen hier.
Für ihn wie auch für seine Mitstreiter galt, dass es sich bei ihnen nicht um widerspruchsfreie Bilderbuchhelden handelte, sondern um Menschen mit Stärken und Schwächen, mit Mut und Verzweiflung, was in persönlichen Grenzsituationen sich in ihrem Verhalten in unterschiedlicher und widerspruchsbehafteter Weise geäußert hat.
Eindeutig bleibt aber die Bedeutung seiner Biografie für die heutige Zeit:
Gerade die Gefahr, dem herrschenden Faschismus ausgeliefert und nicht mehr gewachsen zu sein, zeigt uns mit schonungsloser Deutlichkeit, dass der Kampf gegen den Faschismus geführt werden muss, noch ehe er die Gelegenheit hat, die Macht zu ergreifen.
Und dieser Kampf muss von allen Kräften gemeinsam getragen werden, die sich nicht dem Wiedererstarken von Nationalismus und Militarismus, von Antiparlamentarismus und Autoritarismus sowie von Menschenfeindlichkeit und Rassismus ergeben wollen.
Nicht die Differenzen zwischen den Demokraten, sondern ihre Gemeinsamkeiten müssen die Grundlage für unseren Widerstand sein.
Nur mit dem Erhalt der demokratischen Freiheiten werden wir auch zukünftig in der Lage sein, unsere Differenzen untereinander offen formulieren und austragen zu können.
Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, stellt die Lebensgeschichte von Werner Steinbrinck und seinen Mitkämpferinnen und Mitkämpfern keine Lektion dar, an deren Ende eine Niederlage der demokratischen Auseinandersetzung um eine soziale und tolerante Gesellschaft steht.
Seine Lebensgeschichte ist vielmehr der Aufruf zur lebendigen Fortführung dieses Kampfes in unserer heutigen Zeit.
Hufeisern gegen Rechts dankt allen, die zum Gelingen dieses Nachmittags beigetragen haben, vor allem den zahlreichen Anwesenden.